Ingrid
22.7.2025 um 10:04Uhr

Schwierigkeiten mit der sozialen Kommunikation

Hallo, ich habe vor 2 Jahren einen Hund aus dem Tierschutz übernommen, der damals bereits 3 Jahre war und wenig Gutes erlebt hatte - wie so viele. Kommunikation mit dem Menschen und das auch noch im positiven Sinne, war ihm fremd. Er hat noch nichtmal einen Ball nur ins Maul genommen. Es hat sich mit viel Einsatz vieles verbessert, aber die formelle Ebene, also ein klares, erlerntes Kommando, fällt im leichter als jede Form der sozialen Kommunikation. Irgendwie scheint das für ihn klarer zu sein und Futterbelohnung einfacher zu verstehen. Beim 1. Versuch eines sozialen Spiels war er völlig irritiert. Es wird besser, aber nur manchmal. Wenn ich ihn körpersprachlich begrenze und das sehr, sehr 'soft', dann befolgt er das gut, aber verharrt oft in dieser Position. Wenn ich mich öffne, den Weg freigebe, ihn locke, dann bleibt er oft wie eingefroren auf Position, als wolle er sagen, du hast mich doch gerade hierhin 'geschickt'. Ich bin dann etwas hilflos, denn ich möchte gerne, dass er den sozialen Austausch als Etwas angenehmes empfinden lernt. Welche Übung würde ihr für die beste halten, um ihm dies verständlicher zu machen. Ich weiß auch, dass es gerade in einem solchen Fall wichtig ist, das ich es richtig mache, das hoffen wir jetzt mal ;-)

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Nadine
22.7.2025 um 12:32Uhr

Hallo Ingrid, das Thema ist gar nicht so leicht zu beantworten. Je nach dem wie Richie die ersten 3 Lebensjahre verbracht hat, hat er entweder „einfach nur“ schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht oder aber auch echte Defizite in der hündischen Kommunikation allgemein. Sollte er eine Weile wirklich auf der Straße gelebt haben, dürfte die hündische Kommunikation ganz gut funktionieren. Sollte er ausschließlich irgendwo im Shelter gelebt haben, dann könnte er ein generelles Problem mit der Kommunikation haben, da er nie Chance hat, das richtig zu lernen. Hunde spielen, um den Ernstfall (Kampf) zu üben. Das verwächst sich aber auch etwas. Denn adulte Hunde insbesondere auf der Straße kümmern sich dann nur noch um ihr Überleben und Fortpflanzung. Spielen ist dann einfach irgendwann nicht mehr. Bei unseren Haushunden kann man das Spiel natürlich als festen Bestandteil für Spaß, Ausöastung und Belohnung gut etablieren. Beim Tierschutzhund ist das deutlich schwieriger, dem Hund das positive daran zu vermitteln. Futterbelohnung klappt häufig besser, weil das einfach näher am Grundbedürfnis ist und sehr viel mehr Stimmuli anregt. (Kurzfassung) Die größte Schwierigkeit ist unsere steife, unpräzise Kommunikation: Schaffst du es denn tatsächlich für Richie beim sozialen und Lob entsprechend körperlich zu agieren?, z.B. weiche Bewegungen, richtiger Winkel, nicht direkt ansehen, übertriebene, alberne Gesten usw. Streicheln ist zum Beispiel sowas Mensch gemachtes. Hunde streicheln sich nicht gegenseitig. Da ist Berührung des Fells eher eine Konfliktstufe. Pfote auflegen ist dominat. Usw. Kommunikation mit dem Menschen ist für Hunde generell schwierig. Völligbunterschiedliche Kommunikationsarten und die Hunde werden sehr schnell falsch verstanden und man zwingt ihnen ungewollt einen Konflikt auf. Sie lernen im Laufe das Lebens, dass der Mensch anders ist, sich anders bewegt und anders kommuniziert. Auch passend dazu: „Er hat noch nichtmal einen Ball nur ins Maul genommen“ Ja, warum sollte er? Welchen Nutzen hätte das für ihn auf der Straße gehabt? Ein Hund braucht kein Spielzeug um glücklich zu sein und Spielzeug alleine ist auch keine Belohnung. Zum Blocken: Filme euch doch mal dabei. Vermutlich kannst du deine Körpersprache präzisieren. Eventuell ist das Blockieren zu hart und die Einladung im Anschluss immer noch zu Starr und blockend. Aber auch dazu: Hunde untereinander setzen keine Grenze, bei der der andere dann anschließend wieder eingeladen wird. Das ist eher ein Grenze durchsetzen und einhalten. Solange der Hund, der die Grenze gesetzt hat, noch da ist, wird der andere nicht wieder die Grenze verletzen. Der wartet eher auf einen entfernen des dominanteren Hundes. Daher ist es auch einfach möglich, dass Richie einfach nicht versteht, dass du die Grenze wieder aufhebst. Daher meine Empfehlung: filme dich einfach mal in verschiedenen Situationen und sieh dir deine Körpersprache an. Vermittelst du, was du vermitteln willst? Und übe Verbesserungen vor dem Spiegel. VG

Ingrid
22.7.2025 um 13:04Uhr

Liebe Nadine, zunächst vielen, vielen Dank für deine schnelle und sehr plausible Antwort. Noch 2 kurze Anmerkungen: Das Bsp. mit dem Ball sollte nur verdeutlichen, dass er zunächst an keiner Form der Kommunikation interessiert war. Du schreibst sinngemäß, Hunde blockieren sich nicht und laden sich dann wieder ein. Daher könnte das für ihn ein Problem sein. Da würde ich gerne anregen, dies evtl. auch in die Kurse erklärend einfließen zu lassen, dass je nach Erfahrungshorizont und Prägung desHundes hier Herausforderungen stecken können. Ansonsten, wir üben weiter ;-), eine Videokontrolle gibt es auch bereits. VG

Nadine
22.7.2025 um 14:04Uhr

Nochmal zu dem Blockieren und wieder einladen bei Hunden untereinander. Da geht es in der Regel ja immer um Ressourcen oder individuelle Distanz. Ressource ist und beleibt die Ressource des Hundes, der diese erfolgreich beansprucht. Bei einem großen Stück Futter, würde sich der Hund satt fressen und dann Platz für andere machen. Ein richtiges Einladen gibt es da nicht, ein etwas mutigerer Hund würde sich eventuell abschleichen und testen, ob ein Mitfressen geduldet wird. Bei Raumverwaltung kann das anders ablaufen. Aber eben kein so klassisches Einladen. Dieses Einladen ist aus Hundesicht auch nicht ganz logisch. Erst zeigst du eine Grenze auf bis der Hund sie akzeptiert und im nächsten Moment lädst du ihn eine diese zu verletzen. Übertriebenes Beispiel: Du sagst doch zu einem anderen Menschen auch nicht, könnte sie bitte 10m Abstand halten, ich mag diese Nähe nicht und forderst ihn dann, sobald derjenige auf Abstand geht, auch nicht auf kuscheln zu kommen. Wenn Richie da so empfindlich reagiert, wäre ich übrigens mit Futternapftraining vorsichtig, nicht dass er sich plötzlich nicht mehr traut zu fressen. Und würde eher sowas wie Decken- und Zonentraining machen.

Team
22.7.2025 um 14:14Uhr

Hallo Ingrid, hier liegt kleines Missverständnis vor: Nadine sagte, dass Hunde sich sehr wohl blockieren bzw. begrenzen, sie lösen das Blockieren aber nicht wieder auf, sondern entfernen sich von dem anderen Hund, wenn er diese Grenze akzeptiert hat. Der gemaßregelte Hund kann sich danach wieder frei bewegen. Generell stimmen wir Nadines Beitrag wieder einmal gerne zu. Was die soziale Kommunikation angeht, es kann auch sein, dass deine Hündin in der sozial sensiblen Phase keinen oder nur sehr wenig Kontakt zu Menschen gehabt hat und in dieser wichtigen Phase gar nicht lernen konnte, wie Menschen mit Hunden kommunizieren. Das würde heißen, dass deine Hündin jede Situation von Neuem einschätzen und bewerten muss. Hier fehlt einfach die Generalisierung. Deshalb lernt sie vielleicht auch so langsam, obwohl es doch schon sehr positiv zu bewerten ist, dass sie überhaupt Fortschritte macht. Natürlich ist es aus der Ferne recht schwierig, euch beide als Mensch/Hund-Team seriös zu beurteilen. Es hört sich aber doch so an, als seid ihr auf einem guten Weg. Unsere Körpersprache gegenüber dem Hund sollte immer nur so intensiv sein, so dass er z. Bsp. ausweicht (ruhig auch demütig), auf der anderen Seite aber nicht ängstlich wird. Die Kunst ist, das richtige Maß an Intensität zu finden. Übrigens, „Hut ab“ dafür, dass du einen Hund aus dem Tierschutz in so einem Alter zu dir genommen hast. Liebe Grüße vom Team der Doguniversity

Ingrid
22.7.2025 um 16:47Uhr

Vielen, lieben Dank für die nette und verständnisvoll Antwort. In den Kursen spielt die soziale Kommunikation, das soziale Gespräch oder das soziale Spiel eine große Rolle und ich finde das einfach toll!! Aber - je nachdem, wie die Grundlagen sind z.B. beim Tierschutzhund - kann die Umsetzung auch eine echte Herausforderung sein. Aber ich denke, es lohnt sich und ohne euch, wären wir noch nicht so weit ;-).

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